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Die Manuskripte der Odyssee stammen aus dem Mittelalter und wir wissen wenig über die Überlieferung der Texte seit den homerischen Zeiten, außer dass es höchstwahrscheinlich eine sehr lange Phase der mündlichen Überlieferung gab.
Da die Texte jedoch Erfahrungen im spirituellen Fortschritt widerspiegeln, über die sich alle großen Mystiker unabhängig von ihrer religiösen oder kulturellen Zugehörigkeit einig sind, können wir sie aus unserer Sicht als gültig betrachten, solange sich die Erfahrungen überschneiden. Studien über den Ursprung des Textes und Kontroversen über den Autor (oder die Autoren) sind daher für unseren Zweck irrelevant. Ebenso lassen wir die Diskussionen über das letzte Kapitel der Odyssee, „die zweite Nekuia“, beiseite, das nach Ansicht einiger Linguisten eine Ergänzung des ursprünglichen Textes darstellt.
Wir werden die Studie nach dem Fortschritt auf dem spirituellen Weg und nicht nach der Struktur des Textes, die dramaturgischen Regeln folgt, angehen. Wo es nicht unvereinbar ist, werden wir jedoch der Einteilung in Gesänge folgen, wie wir es auch bei der Ilias getan haben.
Obwohl die Odyssee eine sehr fortgeschrittene Phase des Yoga beschreibt, kann dieses Gedicht zweifellos für jeden genauso nützlich sein, unabhängig davon, welchen Weg er bereits zurückgelegt hat. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass viele Mythen als Prozesse und nicht als ein für alle Mal zu durchlaufende Etappen zu betrachten sind, auch wenn sie die letzte Phase eines bestimmten Fortschritts beschreiben.
Dies gilt zum Beispiel für den Mythos von Perseus, der den Sieg über die Angst symbolisiert und von den Alten vor der Arbeit des Herakles angesiedelt wurde. Die Angst kann natürlich nicht auf einmal besiegt werden. Der Suchende muss sie zunächst im Mentalen, dann im Vital und schließlich bis zu ihren letzten Wurzeln im Körper überwinden. Dieser letzte Schritt wird beschrieben, wenn der Suchende sich bei den Töchtern von Phorkys, den drei Gree, erkundigen soll, die die rudimentären Erinnerungen und das Bewusstsein am Anfang des Lebens symbolisieren. Doch die von den Nymphen und von Hermes gegebenen Werkzeuge, d. h. Rückzug oder Desidentifikation, geistige Ruhe, Umkehrung von Gewohnheiten usw., können für jeden nützlich sein.
So ist es auch mit der Illusion und vielen Hindernissen, die sich dem Menschen in den Weg stellen und die gleichzeitig Wächter und Hebel der Entwicklung sind.
Das Überschreiten von Grenzen auf jeder Ebene führt den Suchenden vor Hindernisse, die in ihrer Form ähnlich und in ihrer Intensität doch sehr unterschiedlich sind. Daraus ergibt sich eine scheinbare Identität der Prozesse und Erfahrungen. Aus diesem Grund erscheint die Lektüre der Agenda von Mira Alfassa (die Mutter) einerseits verständlich für den Suchenden, der bereits vergleichbare Erfahrungen im Verstand gemacht hat, und andererseits völlig unverständlich, weil Mutter sie auf der Ebene des Körpers erlebt und beschreibt.
Ebenso kann die Odyssee als ein spiralförmiger Prozess betrachtet werden, den der Suchende auf vielen Ebenen durchlaufen wird. So werden die Prüfungen, denen man auf der mentalen Ebene begegnet, später auf der Ebene des Vitals und schließlich im Körper angetroffen.
Aus diesem Grund übernahm Apollonios von Rhodos, wie wir gesehen haben, viele der Episoden aus der Odyssee und reduzierte deren Intensität, da die Suche nach dem Goldenen Vlies am Anfang des Weges steht. So fuhr Jason nur an Charybdis und Skylla vorbei, während Odysseus beinahe sein Leben verlor.
Schließlich darf man nicht vergessen, dass das Leben und seine Schwierigkeiten zwar die bestmöglichen Lehrmeister sind, viele Prüfungen aber innerlich überwunden werden müssen, ohne dass eine äußere Konfrontation notwendig ist. Das Eintauchen in die Tiefe bedeutet nämlich, dass man sich dem „Schatten“ ohne jegliche Notwendigkeit der Externalisierung stellen kann.
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